Fährt man an der Südküste von der kleinen Ortschaft Hvolsvöllur auf der Ringstraße weiter Richtung Osten, entdeckt man nach ein paar Minuten auf der linken Seite – und das nur, wenn man genau hinschaut und sich nicht von dem eindrucksvollen Panorama dieser Landschaft total ablenken lässt – den Wasserfall Seljalandsfoss. Er befindet sich am Eingang zu einem Gletschertal, bekannt als Pórsmörk. Meist schon von Weitem gut sichtbar sind drei Gletscher, die das Tal einrahmen: der Tindfjallajökull, der Mýrdalsjökull und der Eyjafjallajökull.
Wasserfall auf ehemaligem Meeresboden
Der Seljalandsfoss liegt am Ende des Flusses Seljalandsá, der oben auf der Hochfläche entspringt und kurz nach dem Fall in den großen Gletscherfluss Markarfljót mündet. Dieser Fluss führt aus dem Gletschertal heraus und kann je nach Eisschmelze oder Vulkantätigkeit mächtig anschwellen. Die 65 Meter hohe Fallkante des Wasserfalls war vor vielen tausend Jahren Teil der Meeresküste, kaum zu glauben. Aber hier sind wir bei einem der Hauptthemen Islands – nämlich der Geologie. Mit dem Schwinden der gigantischen Eismassen zum Ende der letzten Eiszeit setzte die Hebung der Landmasse Islands ein. Was hier heute als Steilküste von der Ringstraße aus zu sehen ist, war vor langer Zeit einmal von Meerwasser umspült. Wir sind auf ehemaligem Meeresboden unterwegs.
Der Seljalandsfoss: ein Highlight an der Ringstraße
Islands Wasserfälle haben es mir angetan. Auf einer Rundreise entlang der Ringstraße entdeckt man unzählig viele davon, und würde ich gefragt werden, welche zu meinen Top 10 gehören, ich könnte mich nicht entscheiden. Einer wäre aber ganz sicher der Seljalandsfoss.
Dieser Wasserfall zieht mich immer wieder von Neuem in seinen Bann. Zugegeben, er wirkt auf den ersten Blick von der Ferne etwas unspektakulär. Biegt man aber von der Ringstraße links ab und fährt auf ihn zu, dann tut sich seine ganze Schönheit auf. Vom Parkplatz aus führt ein gut ausgebauter Weg in nur wenigen Minuten direkt zum Seljalandsfoss.
Spektakuläre Farben vor schroffer Felswand
Wie ein feiner weißer Tüllstoff, vom Wind sanft bewegt, stürzt das Wasser hinunter in ein Tosbecken. Die Farben sind spektakulär, das satte Grün von Gras und Moos, das leuchtende Weiß des Falls und das Blau des Himmels üben regelmäßig einen ganz besonderen Zauber auf mich aus. Ein faszinierender Anblick. Kommt man zur richtigen Tageszeit und hat man dann noch etwas Glück, tut sich direkt ein Regenbogen im Wassernebel auf.
Ein Wasserfall zum Umrunden
Und das ist noch längst nicht alles. Der Seljalandsfoss birgt ein Kuriosum der besonderen Art in sich: Man kann seinen Fall umrunden. Weltweit gibt es nur wenige große Wasserfälle, deren 360-Grad-Ansicht man sich tatsächlich selbst erlaufen kann. Dieses kleine Abenteuer sollte während keiner Rundreise ausgelassen werden. Ein Pfad führt um den Wasserfall herum. Die Gischt des herabstürzenden Nass macht den erdigen und teils steinigen Weg oft matschig und damit auch rutschig. Je nachdem wie der Wind steht und welche Wassermenge nach unten fällt, wird man mehr oder weniger geduscht. Gut eingepackt in Regenkleidung bietet mir der kleine Rundweg immer ein großartiges Schauspiel isländischer Natur. Denn wer kann schon mal hinter einem Wasserfall stehen!
Natur-Erlebnis für alle Sinne
Es ist einfach atemberaubend, wenn ich von der rückwärtigen Seite des Seljalandsfoss aus, durch die wehenden Wassergardinen hindurch, die weite Landschaft betrachten kann. Der Wassernebel wirkt wie ein Weichzeichner, der eine besondere Stimmung aufkommen lässt. Tatsächlich sind alle meine Sinne in Aktion. Die Haut ist vom Spritzwasser nass, die Augen genießen den Ausblick, die Ohren sind mit dem Tosen des Wassers ausgelastet, der Mund schmeckt die Wassertropfen, und die Nase riecht den erdigen Duft des nassen Bodens und der Felswand. Es ist eine Szenerie, die den Fotografierfreudigen das Herz höher schlagen lässt. Standort, Lichteinfall, Position der Sonne und Wassermenge bestimmen den Kontrast und die Intensität der Farben.
Vulkane oben, hinten, links und rechts
Der Seljalandsfoss liegt am Fuße eines inzwischen weltbekannt gewordenen Berges, dem Eyjafjallajökull – dem Berg mit diesem unaussprechlichen Namen. Dabei ist es ganz einfach: Ei-ja-fja-dla-jö-küdl, der Inselberggletscher. Er hat sich in den letzten 800.000 Jahren durch viele Eruptionen aufgeschichtet, ist nun 1650 Meter hoch, und seine Eiskappe beträgt ca. 80 Quadratkilometer. Sein wohl spektakulärster Ausbruch ereignete sich 2010, als die Aschewolke durch besondere Wetterbedingungen gen Südosten, also Richtung Europa, getragen wurde und ein weltweites Flugchaos verursachte. Dieser Vulkan gehört allerdings nicht zu den aktivsten Islands. Seit der Landnahme vor ca. 1100 Jahren ist er nur drei Mal ausgebrochen.
Unbedingt einplanen: Abstecher zu den Westmännerinseln
An den Eyjafjallajökull schließt sich fast nahtlos der Mýrdalsjökull an. Unter seinem Eis ruht der Vulkan Katla, der zuletzt 1918 ausbrach. Schaut man nach Westen, erhebt sich dort der Bergrücken namens Hekla, deren letzter Ausbruch im Jahr 2000 war.
Wenn man vom Parkplatz des Seljalandsfoss aus Richtung Süden blickt, sieht man ein paar Gipfel aus dem Meer herausragen. Dies sind die Westmännerinseln, die 14 Kilometer entfernt vor der Südküste liegen. Auf der Hauptinsel Heimaey öffnete sich 1973 ohne Vorankündigung die Erde und eine Eruption begann, die sechs Monate lang anhielt. Der Vulkan Eldfell entstand durch diesen Ausbruch.
Die Lava begrub über 400 Häuser unter sich. Zuvor wurde in Folge eines Unterwasserausbruchs im Jahr 1963 eine neue Insel geschaffen, die den Namen Surtsey erhielt, benannt nach Surtur, der Feuerriese in der nordischen Mythologie. Mit der Fähre vom nahegelegenen Fährhafen Landeyjahöfn, lediglich 10 Minuten von der Ringstraße entfernt, ist die Hauptinsel Heimaey in einer halben Stunde zu erreichen. Den Abstecher zu den Westmännerinseln sollte man in einer Rundreise unbedingt einplanen.
Der Seljalandsfoss im Winter
Der Seljalandsfoss ist keinesfalls nur während einer Rundreise in den Sommermonaten eine Attraktion. Ich besuche diesen Wasserfall besonders gerne auch während der Winterzeit. Dann zeigt er sich von einer ganz anderen Seite. Neugierig bin ich immer darauf, welche er mir präsentiert. Denn der Fall gefriert, je nach Wind und Wetter, auf fantastische Art und Weise, als hätte ein Künstler eine Vorlage dafür gezeichnet oder gar im Eis herumgeschnitzt. Beeindruckend ist es, jedes Mal eine andere „Bildhauerei“ vorzufinden.
In der dunklen Jahreszeit wird er von Scheinwerfern angestrahlt und die Stimmung bekommt etwas Mystisches. Trolle, Elfen und irgendwelche übersinnlichen Wesen der isländischen Volksgeschichten erwachen vor meinem inneren Auge zum Leben und bekommen Gestalt. Bei einer Rundreise im winterlichen Island war es ein wirklich ganz großer Moment, als ich mich vom Wasserfall gen Westen hin umdrehte und urplötzlich wunderbare Nordlichter am tiefschwarzen Nachthimmel tanzen sah. Was will man mehr … Ihr wollt ein Ferienhaus in der Nähe mieten? Dann seid ihr hier richtig.
Bilder: Carina Pilz (5), Thomas Linkel (5), Khamkeo Vilaysing/Unsplash, Agnieszka Mordaunt/Unsplash