Von der Stadt Borganes am Borgarfjord führt die Straße landeinwärts zum Hraunfossar, dem Lavawasserfall, durch das weite und landwirtschaftlich geprägte Tal Reykholtsdalur. Gut sichtbar sind immer wieder kleine und große Dampfsäulen, die durch Öffnungen und Spalten aus dem Erdboden aufsteigen.
Hier ist ein sogenanntes Niedrigtemperaturgebiet. Das bedeutet, dass in 1000 Meter Tiefe das Wasser bzw. der Dampf bis zu 150 Grad Celsius heiß sind. Für Island ganz typisch, wird diese geothermale Wärme zur Beheizung der Haushalte und umliegenden Gewächshäuser genutzt, in denen u.a. Tomaten, Paprika, Karotten und Erdbeeren angebaut werden.
Hallmundurs Lavafeld
Je näher man an den Hraunfossar herankommt, desto auffälliger wird linker Hand ein riesiges moosbewachsenes Lavafeld, das Hallmundarhraun, die Lava des Hallmundur. Dieser 50 Kilometer lange Lavastrom ist 1000 Jahre alt. Ohne ihn gäbe es den Wasserfall nicht. Die Lava floss aus zwei Kratern, die sich an der Nordwestseite des Langjökull, des langen Gletschers, befinden.
Die Saga von Grettir
Der Name des riesigen Lavafeldes geht auf eine Erzählung in der Grettissaga, der Island-Saga von Grettir dem Starken, zurück. Als der nämlich wieder einmal als Gesetzloser verfolgt und angegriffen wurde, stand ihm ein alter Verbündeter auf magische Weise bei.
Der feindliche Anführer beobachtete, dass in dem Kampfgeschehen nicht alles mit rechten Dingen zuging, und sagte zu seinen Leuten; „Da, wo er (Grettir) den Rücken hinwendet, fallen doppelt so viele; jetzt sehe ich, dass man es hier mit einem Troll zu tun hat, und nicht mit einem Menschen.“ Daraufhin ergriff die Meute die Flucht. Verwundert über den schnellen Rückzug seiner Gegner verließ der spätere Sagenheld die Schlucht.
Dabei begegnete er einem großen Mann namens Hallmundur, der auf dem Boden saß und schwer verletzt war. Da erkannte Grettir, wer sein Retter gewesen war. Hallmundur lud den Verbannten in seine Höhle ein, wo er den Sommer verbrachte. Auf Island gibt es übrigens viele Lavahöhlen. In der Hallmundarhraun befinden sich die größten der Insel, die auch besichtigt werden können.
Farben über Farben am Wasserfall
Direkt am Hraunfossar ist ein Parkplatz. Von dort aus sind es nur ein paar Meter bis zur Aussichtsplattform, von wo aus man eine fantastische Aussicht auf den Wasserfall und auf den Fluss Hvítá, den weißen Fluss, hat. Schon seit 1987 steht dieses Gebiet unter Naturschutz.
Gráhraun, graue Lava, heißt der Teil des Lavafeldes, aus dem die unzähligen Wasserfälle austreten und dann direkt in den Fluss strömen. Die Hvítá sammelt das Schmelzwasser der beiden Gletscher Eiríksjökull und Langjökull, die man bei guten Wetterverhältnissen schon bei der Hinfahrt prima sehen kann.
Farbrausch am Hraunfossar
Die Farbenpracht der umliegenden Landschaft und des Hraunfossar sind immer ein Augenschmaus für mich. Das Wasser hat oft eine tief türkisblaue Färbung, die sich zusammen mit den weißen Kaskaden und Rinnsalen, der grünen Vegetation und dem schwarzen, aber auch teilweise bunten Vulkangestein zu einem überwältigenden Farbspiel vermischt.
Dieser Wasserfall ist absolut Instagramtauglich
Je nachdem, wo man steht und welchen Blickwinkel man auf den Hraunfossar hat, erscheinen die Farben immer wieder ein bisschen anders. Die gesamte Szenerie ist ein Eldorado für Fotografierfreudige und wird millionenfach auf Instagram gepostet.
Die Krönung ist es aber, wenn sich die bunte Herbstfärbung der Büsche und Sträucher dazugesellt. Im Winter dagegen erzeugen der weiße Schnee und der zu interessanten Formen vereiste Wasserfall eine fast mystische Atmosphäre, insbesondere im Kontrast zur schwarzen Lava.
Ein einmaliges Phänomen
Wirklich überraschend ist, dass der Hraunfossar nicht mit seiner Höhe besticht, sondern mit seiner erstaunlichen Länge von über einem Kilometer. Dieses geologische Phänomen gibt es in dieser Form nur einmal auf Island und sollte unbedingt einen Platz auf der Liste der Sehenswürdigkeiten bekommen. Ein Seitenarm des Gletscherflusses Hvítá versickert in der Hallmundarhraun.
Das poröse Lavafeld liegt auf einer älteren, allerdings wasserdichten Basaltschicht. Zwischen diesen beiden Lagen sucht sich das Wasser seinen Weg bis es, gut gefiltert und gereinigt, kristallklar aus dem Lavagestein als Wasserfall herausströmt. Diese geologische Besonderheit des Hraunfossar ist von der Aussichtsplattform aus gut zu erkennen.
Kurze Wanderung zum Lavafeld
Der Spazierweg führt vom Hraunfossar flussaufwärts zu einer kleinen Fußgängerbrücke, über die man auf die andere Flussseite und in das Lavafeld gelangt. Wenn man die Lavaformen genau betrachtet, erkennt man erstarrte Formen, die Wülsten, Zöpfen oder Stricken ähneln. Solche Strukturen findet man nicht nur an den Hraunfossar, sondern auch an anderen Stellen auf Island.
Bezeichnenderweise nennen sich diese Erstarrungsformen „Stricklava“ oder auch „Seillava“, die bei Austritt aus dem Krater sehr dünnflüssig ist und eine Temperatur von bis zu 1200 Grad Celsius erreichen kann. Während die Lavaoberfläche abkühlt und eine feine Kruste bildet, fließt darunter der Lavastrom weiter. Verlangsamt sich die Fließgeschwindigkeit, legt sich die zähere obere Decke in Falten und erstarrt zu wulst- oder strickartigen Formen.
Eine Tragödie
Von der Brücke aus hat man einen guten Blick auf den Hraunfossar und auf den tosenden Barnafoss, den Kinderwasserfall, der sich an dieser Stelle wild und ungestüm durch eine enge Schlucht zwängt. Diese Namensgebung ist mit einer traurigen Geschichte verbunden, die in der Sammlung der Volksgeschichten von Jón Árnason erzählt wird.
Nicht weit vom Fluss entfernt stand vor langer Zeit der Hof Hraunsás. Eines Tages, als die Familie auf der anderen Flussseite in der Kirche von Gilsbakki im Gottesdienst war, folgten die beiden Jungs unerlaubterweise den Erwachsenen. Sie wollten den Fluss über einen natürlichen Steinbogen queren, verloren aber das Gleichgewicht und fielen in die reißende Schlucht. In ihrer Wut und Trauer ließ die Mutter den Steinbogen zerstören, nicht zu letzt auch um weiteres Unheil an diesem wilden Wasserfall zu vermeiden.
Falls ihr in der Nähe der Wasserfälle ein Ferienhaus sucht, dann guckt doch mal hier.
Fotos: Carina Pilz (6), Thomas Linkel (5), unsplash/Freysteinn G Jonsson