Abenteuer Silfra-Spalte: Schnorcheln zwischen Kontinenten
Die Silfra-Spalte ist ein ganz besonderer Ort zum Schnorcheln und Tauchen. Zum einen aufgrund des kristallklaren Wassers und der daraus resultierenden XXL-Weitsicht. Und zum anderen, weil hier Amerika und Eurasien auseinanderdriften – jedes Jahr um mehrere Milli- bis Zentimeter.
Zahlreiche Geysire, heiße Quellen und aktive Vulkane halten es Einheimischen wie BesucherInnen stets vor Augen: Island ist die größte Vulkaninsel der Welt und noch heute permanent in Bewegung. An einer Stelle wird die Lage an der Nahtstelle der nordamerikanischen und eurasischen Kontinentalplatte besonders deutlich: an der Silfra-Spalte 50 Kilometer östlich von Reykjavík. Dort lässt sich sogar messen, wie schnell sich die gewaltigen Landmassen auseinanderbewegen. Zwischen einigen Millimetern und zwei Zentimetern pro Jahr schieben sich die Basaltsteine auseinander und machen so den bachartigen Wassergraben immer breiter.
Derzeit beträgt seine Ausdehnung zwischen drei und zehn Metern, doch die Spalte, die nach einigen Hundert Metern in den Thingvellir-See mündet, zeichnet sich durch ein schnelles Abwechseln seichter und tiefer sowie schmalerer und breiterer Stellen aus. „Am engsten Punkt kann man beide Uferseiten ergo Kontinente mit ausgestreckten Armen berühren“, schwärmt Ian, einer der Guides, die uns das Naturspektakel näher bringen wollen. Und dazu bringt er uns erst mal mit dem Van zum „Silfra“-Parkplatz.
Mit allen Wassern gewaschen
Der nächste Schritt sieht so aus: Ian und sein Kollege Max verteilen Trockenanzüge zwischen M und XL, die wir – Schiebetür zu – einer nach dem anderen im Wagen anziehen können. Beim Anziehen hat ein anderer Teilnehmer kurz Sorge, es nicht hineinzuschaffen (geschweige denn später wieder hinaus). Doch mit etwas Ziehen und Zerren gelingt es. Doch damit nicht genug!
Wir sollen auch noch einen Neoprenanzug drüber anziehen. Warme Unterwäsche und dicke Socken haben wir ja ohnehin schon angehabt. Ob das alles nicht etwas übertrieben sei, wollen wir von Ian wissen. „Draußen mag es warm sein, aber das Wasser misst gerade einmal zwei bis maximal vier Grad – und beim Schnorcheln und Tauchen ist man eine ganze Weile drin.“ Okay, Punkt für Ian. Da wird auch verständlich, warum wir uns in Michelinmännchen verwandeln. Ferner ermahnt uns Max, penibelst darauf zu achten, dass der elastische Anzug gut über den Neoprenschuhen sitzt – und die Handschuhe lückenlos über dem Anzug. „Es soll einfach überhaupt gar kein Wasser reingehen beim Tauchen“, lautet das Mantra von Max.
Diese Spalte hat es in sich!
Apropos reingehen. Wir haben keine Ahnung, wo die Silfra-Spalte letztlich beginnt, respektive es ins Wasser geht. Vom Parkplatz aus sieht man nämlich gar nichts. Die Vegetation ist recht hoch und das ersehnte Nass erst nach einem kurzen Fußmarsch sichtbar. Plötzlich taucht sie auf: die Silfra-Spalte aka Bachlauf. An dessen Anfang befindet sich eine stählerne Plattform samt Badeleiter. Nichts wie rauf. Aber vorher blicken wir uns um. So kennt man Island! Kein Auto zu sehen, kein Haus, keine Zivilisation. Vor uns nur das Wasser, in der Ferne Berge. Mystische Stimmung umweht die gesamte Umgebung.
Nicht ohne Grund wurde hier in Thingvellir 930 das Althing gegründet, das mittlerweile älteste bestehende Parlament der Welt. Wenig später wurde an jenem Ort das Christentum angenommen und 1944 die Republik Island ausgerufen. Ein paar Jahre früher wurde das bis zu 63 Meter unter dem Meeresspiegel liegende Gebiet zu Islands erstem Nationalpark erklärt. Das markierte dann auch den Startschuss für Unterwassersportler, die, seit der Outdoortourismus in Island boomt, verstärkt anreisen und bei ihrer Aktivität weder Unterwasserdämpfe noch ähnliche Sichtbeeinträchtigungen fürchten müssen, geschweige denn gefährliche Strömungen oder Tiere. Kurz: „Silfra“ ist das ideale Revier, um mit dem Tauchen und Schnorcheln zu beginnen.
Island unter Wasser, ein Farbenspiel
Wer bei der „Silbernen Frau“, so die Bedeutung des isländischen Wortes „Silfra“, taucht oder schnorchelt, hat es mit echtem Weitseh-Wasser zu tun. Es ist obendrein so rein, dass es als beste Trinkwasserqualität deklariert wird. Für diese Reinheit gibt es zwei Gründe: 1. Das konstant kalte Schmelzwasser des rund 50 Kilometer entfernten Langjökull-Gletschers fließt 2. auch noch jahrelang durch filterndes Lavagestein, bevor es nördlich des Thingvellir-Sees aus unterirdischen Quellen wieder hervorquillt.
Das alles erklärt uns Ian, bevor es losgeht. Und dann lassen wir uns einer nach dem anderen ins Nass gleiten und wie aufgeblasene Puppen treiben. Wobei wir erst mal damit beschäftigt sind, dass alles gut sitzt. Taucherbrille: Passt. GoPro? Läuft. Schnorchel: Check. Aber was ist das? Kommt da am rechten Arm etwas Wasser rein? Nein, zum Glück nur Einbildung. Das Tauchen kann beginnen.
Und zum Glück brauchten wir auch kein Klebeband, wie es offenbar manch Schnorchler oder Taucher benötigt, wenn er respektive sein Equipment nicht ganz dicht ist. Nach zwei, drei Minuten hat sich der Puls wieder gesenkt. Jetzt beginnt der angenehme Teil – und wir lassen uns auch nicht von anderen Outdoorfans stören, die hier ebenfalls schnorcheln oder gar tauchen. Wobei man sagen muss, dass sich in der Silfra-Spalte Wassersportler mit Flasche eindeutig in der Unterzahl befinden.
Eintauchen ins Abenteuer
Und hey, mag Schnorcheln andernorts die schlechtere Unterwasservariante im Vergleich zum Tauchen sein: Hier ist sie es nicht! Durch unsere Brillen gucken wir nach unten, nach links, nach rechts. Zwar bekommt man kaum Tiere und Pflanzen vor die Linse, dafür aber ist das Wasser wirklich so klar, wie Ian versprochen hat. Neben den extremen Sichtweiten bis zu 120 Metern fasziniert die Silfra-Spalte vor allem mit grandiosen Blau- und Grüntönen. Keine Frage: Island treibt es hier richtig bunt! Das Farbspiel sorgt für erhabene Stimmung. Und das über 45 Minuten. So lange dauert das Tauchen, so lange treibt uns die langsame Strömung fast automatisch durch die verschiedenen Passagen.
Mal ist es so seicht, dass man gerade so über die schroffen Lavafeldformationen der Spalte gleitet, mal geht es bis zu 37 Meter in die Tiefe. Klarer Fall: Hier sind die Scuba Diver im Vorteil, können sie doch mal eben galant in tiefere Sphären tauchen. Doch egal, in welcher Etage man schnorchelt oder taucht: Von Unterwasserdampf oder Rauch ist nirgends eine Spur, ebenso wenig von Fischen oder Pflanzen. Nur ein paar Algenteilchen schweben beim Schorcheln vorbei. Und irgendwann wartet linkerhand der Ausstieg. Jetzt heißt es: Tschüss, Silfra.
Nach dem Tauchen ist vor dem Tauchen
Kaum bin ich die Treppe hinausgestiegen, will ich mir als Erstes sogleich die Handschuhe ausziehen, aber davon rät mir Max ab. Echt jetzt? Ich soll die Dinger noch weiter anbehalten? Ja, und das ist gut so. Denn die isolierende Wasserschicht entfaltet jetzt ihre volle Wirkung und ich bekomme wieder warme Hände. Noch wärmer wird es jedoch, als wir nach einem kurzen Fußmarsch im Van unsere „normale“ Kleidung angezogen haben. Warm ums Herz wird uns vermutlich allein aufgrund des adrenalingeschwängerten Glücksgefühl, das noch lange andauert.
Wir drücken Ian und Max und den beiden unsere nassen Anzüge und Equipment in die Hand. Denn alle sind sich einig: Das war klasse. Und wir können bestätigen: Die Silfra-Spalte gehört zu den schönsten und aufregendsten Tauch- und Schnorchelspots der Welt. Zum Abschied sagt Ian noch: „Tipp: Das nächste Mal kommt ihr im Winter. Dann seid ihr ziemlich die Einzigen im Wasser – und bei Schnee und Minusgraden erlebt ihr eine ganz besondere Stimmung. Wobei das Wasser keinen Grad kälter sein wird als heute.“ Wir schauen uns an und wie aus einem Mund sagen wir: „Silfra, wir kommen im Winter wieder!“
Weitere Informationen für pozenzielle „Silfra“-Taucher
Schwierigkeitsgrad: Schnorchel- und Schwimmanforderungen sind gering, größte Herausforderung ist die Kälte; das Mindestalter beträgt 12 Jahre. Für eine Tour könnt ihr euch in Deutschland z.B. an Katla Travel wenden. Habt ihr Lust auf ein Ferienhaus?
Reisezeit: Schnorcheln ist das gesamte Jahr über möglich
Bilder: Elli Thor/Arktische Abenteuer, Erlendur Thor Magnusson/Arktische Abenteuer, Thomas Linkel, Unsplash: Bibhash Banerjee, flickr: Diego Delso